FIR zur dramatischen Lage in Afghanistan
18. August 2021
Wir alle haben die dramatischen Bilder der letzten Tage aus Kabul und einigen anderen Teilen von Afghanistan gesehen, wo nach der Abzugsankündigung der ausländischen Streitkräfte der Vormarsch der Taliban in hoher Geschwindigkeit von statten ging. Das kurze Fazit dieser Ereignisse lässt sich in folgender Aussage zusammenfassen:
Die ausländischen Streitkräfte sollten dort seit 20 Jahren Frieden, Sicherheit und Demokratie bringen. Sie hinterlassen jedoch Chaos und Unsicherheit insbesondere für die Zivilbevölkerung und die Herrschaft fundamentalistischer Islamisten.
1. Die FIR und die internationale Friedensbewegung haben seit 2001 deutlich gemacht, dass der „Krieg gegen den Terror“, wie er von der USA und ihren verbündeten Streitkräften, anfangs noch gedeckt durch ein UN-Mandat, in Afghanistan geführt wurde, keine dauerhafte Lösung des gesellschaftlichen Problems darstellt. Der Militäreinsatz der deutschen Bundeswehr wurde damals für 6 Monate (!) durch das Parlament bewilligt. Daraus wurden knapp 20 Jahre – ohne ein greifbares Ergebnis.
2. Innenpolitisch hat die ausländische Truppenpräsenz in einzelnen Metropolen tatsächlich Ansätze einer demokratischen Partizipation eröffnet. Die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Frauen wurde ermöglicht. Aber auf die gesellschaftlichen Strukturen hatte es keine dauerhafte Auswirkung gehabt.
3. Die afghanische Regierung und die jeweiligen Präsidenten waren nicht nur in den Augen der Mehrheit der Bevölkerung, sondern auch im eigenen Selbstverständnis zumeist Herrscher von ausländischen Gnaden. Wie anders ist es zu verstehen, dass sich der letzte Präsident vor allen anderen Menschen mit seiner Entourage und einer großen Summe Geldes als erster ins Ausland absetzt?
4. Die Sicherheitskräfte des Landes, die Armee und Polizei, die die demokratische Entwicklung des Landes schützen sollten, befinden sich de facto in Auflösung, seitdem der endgültige Abzug der ausländischen Streitkräfte umgesetzt wurde. Sie sind weder in der Lage, noch willens das Machtvakuum zu füllen, sondern übergaben in dramatischer Geschwindigkeit den bewaffneten Einheiten der Taliban die jeweiligen Regionen. Mehrere hundert Angehörigen der Armee haben sich mit ihrem Militärgerät in Nachbarländer abgesetzt.
5. Das größte Drama erleben jedoch die zivilen Hilfskräfte und die Zivilbevölkerung. Es ist bekannt, dass die „Ortskräfte“, also afghanischen Mitarbeiter der jeweiligen ausländischen Streitkräfte sowie Helfer in zivilen Entwicklungsprojekten, von den Taliban als „Kollaborateure“ angesehen werden. Sie sind bei der erwarteten Machtübernahme der Taliban besonders gefährdet. Dennoch gab es bis vor wenigen Tagen keine Planungen, wie deren Schutz gewährleistet werden könne bzw. oder ob man ihnen politisches Asyl in dem jeweiligen Land gewähren solle. Ortskräfte sollten auf eigene Kosten mit Zivilflugzeugen ausreisen. Außerdem sollte die Bearbeitung des Asylantrags in Afghanistan selber erfolgen – ein Verfahren, das schon unter normalen Umständen mehrere Wochen dauert. Deutschland ging sogar soweit, noch im Juli 2021 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abzuschieben, da es dort auch „sichere Regionen gebe“. Erst in den Tagen des größten Chaos überboten sich alle Politiker in der Forderung nach Aufnahme der Hilfskräfte – wissend, dass eine geregelte Evakuierung gar nicht mehr möglich ist.
Die FIR unterstützt in dieser Situation die Appelle des UN-Generalsekretärs und den Beschluss des UN-Sicherheitsrates zu einem sofortigen Ende der Gewalt. Der Schutz aller Afghanen und internationalen Bürger müsse gewährleistet sein.
Die FIR fordert alle Staaten auf, Ortskräften und ihren Familien Asyl und Aufnahme zu gewähren. Das ist das mindeste, was sie zur Vermeidung einer humanitären Katastrophe tun können.