Die FIR vor dem XIX regulären Kongress

23. Oktober 2023

Gespräch mit dem Generalsekretär der FIR Dr. Ulrich Schneider

Ende Oktober führt die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten in Barcelona ihren XIX. Kongress durch. Was ist die FIR und wen vertritt sie?

Die FIR ist die Dachorganisation der Verbände, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in ganz Europa von Widerstandskämpfern und Partisanen, Deportierten und Überlebenden, Kämpfern in den Reihen der Anti-Hitler-Koalition und ihren Familienangehörigen gegründet wurden und in vielen Ländern auch Antifaschisten heutiger Generationen umfassen.
Bei der Gründung 1951 in Wien war das zentrale Thema im Kalten Krieg die Bewahrung des Friedens und des politischen Vermächtnisses der Überlebenden. Gleichzeitig ging es um die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand in seiner ganzen politischen Breite an die kommenden Generationen. Im Laufe der über sieben Jahrzehnten haben wir einige Verbände, die sich nicht geöffnet haben, verloren. Andere, die den Generationswechsel vollziehen konnten und neue Verbände, die sich beispielsweise als Freunde der Internationalen Brigaden verstehen, sind hinzugekommen.
Im übertragenen Sinne gelten die Ziele von 1951 auch heute für die etwa 60 Mitgliedsverbände der FIR in 25 Ländern Europas, Israels und Lateinamerika. Die Idee des Antifaschismus ist lebendig.

Ist die FIR ein Traditionsverband oder welche Aufgaben sieht sie heute?

Die FIR versteht sich in der verdienstvollen Tradition der Frauen und Männer aus dem Widerstand gegen den Nazismus. Insofern sind wir ein „Traditionsverband“. Für uns ist aber das Vermächtnis der Überlebenden, wie es beispielsweise im „Schwur von Buchenwald“ formuliert wurde, eine aktuelle und zukunftsweisende Verpflichtung.
Wenn dort von „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“ gesprochen wird, dann sehen wir heute in zahlreichen Ländern – nicht nur in Europa – die gesellschaftlichen und sozialen Ursachen für das Wiedererstarken neofaschistischer und extrem rechter politischer Gruppen und Parteien, gegen die wir politisch aktiv werden müssen, wenn wir für eine demokratische Zukunft eintreten. Die „Schaffung einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit“ ist leider ebenfalls noch nicht Realität. Deshalb sind wir als „Botschafter des Friedens“ der Vereinten Nationen gemeinsam mit unseren Mitgliedsverbänden in den Friedensbewegungen aktiv. Die gemeinsame Friedensbotschaft der FIR und des Weltveteranenverbandes (WVF) vom November 2022 für einen sofortigen Waffenstillstand und den Beginn von Verhandlungen statt Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg ist weiterhin aktuell. Ihre Dringlichkeit im Interesse der Menschen in allen Kriegsregionen wird täglich aufs Neue unterstrichen. Wir vergessen aber auch nicht die zahllosen anderen Kriegsschauplätze in der Welt.
Und wenn wir von Freiheit sprechen, dann verstehen wir darunter auch Sicherung von Demokratie und soziale Rechte für alle Menschen, d.h. auch Hilfe für Flüchtlinge. Das Vermächtnis der Überlebenden fordert immer noch unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit.

In Spanien und Portugal leben noch viele Zeitzeugen des antifaschistischen Kampfes. Aber in den meisten ehemals vom Nazismus okkupierten Ländern ist ihre Zahl gering geworden. Was bedeutet das für die Vermittlung der historischen Erfahrungen?

Das ist eine der großen Herausforderungen für viele Verbände der FIR. Das Verschwinden der Zeitzeugen und der zunehmende historische Abstand, verbunden mit dem Wiedererstarken extrem rechter Kräfte führen dazu, dass wir in vielen Ländern Europas schlimme Formen von Geschichtsrevisionismus erleben müssen. Denkmäler für die Befreiung vom Faschismus und die Befreier werden zerstört, faschistische Kollaborateure als „Freiheitskämpfer“ gewürdigt – und das geschieht nicht nur beim Bandera-Kult in der heutigen Ukraine.
Gleichzeitig sehen wir, dass es neuer Wege bedarf, jungen Menschen heutiger Generationen Zugänge zum und historisches Wissen über den antifaschistischen Kampf in den jeweiligen Ländern zu vermitteln. Viele Mitgliedsverbände sind in dieser Arbeit sehr engagiert und durchaus erfolgreich. Diese Erfahrungen wollen wir in den Reihen der FIR gemeinsam auswerten und damit helfen, die Geschichts- und Erinnerungsarbeit zu stärken. Dabei spielen die historischen Orte der KZ-Gedenkstätten eine wichtige Rolle. So planen wir gemeinsam mit den Mitgliedsverbänden für 2025 erneut ein internationales Jugendtreffen mit 1000 Teilnehmenden in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald.

Die Wahlergebnisse für extrem rechte Parteien in verschiedenen europäischen Ländern sind erschreckend. Im Mai 2024 finden die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Wie steht die FIR dazu?

Auf unserem Kongress werden wir eine klare politische Botschaft anlässlich dieser Wahlen formulieren. Natürlich geben wir keine Wahlempfehlung für irgendeine Partei. Wir plädieren dafür, dass sich die zivilgesellschaftlichen Kräfte der Gewerkschaften, der ökologischen und sozialen Bewegungen, der Jugend und migrantischen Organisationen in gemeinsamen Netzwerken aktiv in diesen Wahlkampf einmischen und ihre demokratischen und auf alle Menschen in Europa bezogenen Forderungen zu Gehör bringen.
Denn wir treten ein für ein Europa, das sich der antifaschistischen Wurzeln bewusst ist, ein Europa aller Menschen, in dem die sozialen Rechte insbesondere der Schwächeren gestärkt werden, das gemeinsam Verantwortung für Flüchtlinge, die vor Kriegen, Hunger und anderen Katastrophen zu uns kommen, übernimmt, das sich für Frieden, europäische Entspannungspolitik und gegen die Militarisierung der EU einsetzt. Das sind große Themen. Es ist unsere Perspektive auf ein antifaschistisches Europa.

Was erwartet die FIR von dem Kongress in Barcelona?

Wir erleben in der Vorbereitung in Barcelona und Spanien insgesamt eine hohe Bereitschaft der Unterstützung für die von uns vertretene Idee des Antifaschismus. Das ist sehr ermutigend.
Im Rahmen des Kongresses werden wir an mehreren Gedenkveranstaltungen zur Erinnerung an die Internationalen Brigaden und die spanischen Opfer der Franco-Diktatur teilnehmen. Dies zeigt die gesellschaftliche Lebendigkeit des historischen Erinnerns.
Die bisherigen Rückmeldungen aus den Mitgliedsverbänden bestätigen, dass nach der Corona-Pandemie und mit den Auswirkungen des Ukraine-Krieges ein Bedürfnis nach einem realen politischen Austausch besteht. Der Kongress wird dabei zeigen, dass eine internationale Dachorganisation der Verbände in der Tradition des antifaschistischen Kampfes nicht nur heute, sondern auch zukünftig politisch gebraucht wird. Und wie es uns gelingt, heutige Generationen in diese Arbeit zu integrieren. Das ist die Basis für eine Zukunft der FIR.